Als Weiße Verbündete sein, durch und durch

Wie können sich Träger und Einrichtungen der politischen Bildung diskriminierungsfrei aufstellen? Einblick in den Stand einer Diskussion in der Fachgruppe 1 der AKSB. Ein Beitrag von Alexander Mack und Meike Müller aus dem AKSB-inform (Juni 2021).

21. Juni 2021

Ein Thema, das immer stärker auf die Tagesordnung der politischen Bildung drängt, ist eine neue Entschiedenheit auf den Rassismus hin. Dabei geht der Beratungsdarf weit über die nächsten inhaltlichen Programm- und Projektplanungen hinaus. Vielmehr sollten sich Träger und Einrichtungen selbstkritisch fragen, wie inklusiv und diskriminierungsfrei sie wirklich unterwegs sind und wie engagiert sie sich an die Seite von Black, Indigenous and People of Color (BIPoC) stellen. AKSB-inform sprach mit Meike Elisa Müller, Referentin für politische Bildung beim DeZentrale e.V. in Köln, Gennet Patt, Vorsitzende der Katholischen Landjugendbewegung in NRW, und Alexander Mack, Leiter der AKSB-Fachgruppe 1 Politik – Menschenrechte – Medien.

Wirklichkeit, Sprache, soziale Interaktion sind komplex. Wie stark sie miteinander verwoben sind, ist keine rein akademische Frage. Wie wir die Dinge sehen, bewerten, aussprechen und behandeln, hat sehr konkrete Folgen für Menschen und ihr Zusammenleben. Die dominante Form in Deutschland ist eine diskriminierende. Sie speist sich aus einer Sicht, die Diskriminierungsforscher/-innen als „weiß“ kennzeichnen.

Die Wirklichkeit von Menschen, die eine andere äußere Erscheinung haben oder anders wahrgenommen werden als die Mehrheitsgesellschaft, wird oft ausgeblendet, verzerrt, stigmatisiert – oder im Gegenteil idealisiert.

All das führt zu Regeln, Verhaltensweisen, Redewendungen, welche die betroffenen Menschen in eine unwürdige Situation bringen, skizziert Meike Elisa Müller. Manchmal bewusst, manchmal unbewusst, transportieren diese Muster und Signale eine diskriminierende Botschaft: Du bist anders, du bist fremd, du hast hier nichts zu sagen, du hast weniger Rechte als ich, du liegst mir auf der Tasche, du führst Böses im Schilde. Oder auch: Ich nehme an, du verstehst mich nicht so gut, du hast es schwer, du bist verfolgt, du brauchst meine Hilfe, du brauchst meine Solidarität. Lass mich dir Gutes tun.

Sowohl das Übel- als auch das Wohlmeinende ist rassistisch, weil es sich festmacht an der Herkunft der Person oder deren Vorfahren. Nicht die Person mit ihrer einzigartigen Persönlichkeit und Würde steht im Mittelpunkt des Sehens, Urteilens, Sprechens und Handelns, sondern ihr Äußeres, etwa die Farbe ihrer Haut oder die Form ihrer Haare. Wie stark dieses stete Alltagserleben die betroffenen Menschen prägt, können die übrigen nicht ermessen. Denn sie kommen selbst nicht aus ihrer Haut heraus, nur dass diese halt „weiß“ ist und damit – unbegründet – viele Privilegien ermöglicht.

Die Herausforderung besprechbar machen und besprechen

Was hat das nun mit den Trägern und Einrichtungen der politischen Bildung zu tun? In der Fachgruppe 1 wird das seit geraumer Zeit diskutiert, berichtet Alexander Mack. Zunächst einmal ist die Bildungslandschaft wie der Rest der Republik eingeladen, sich mit den kritischen Anfragen aus der Diskriminierungsforschung sowie im Speziellen der Debatte um „Critical Whiteness“ (Kritische Weißseinsforschung) auseinanderzusetzen.

Das kann ein langer und für alle Beteiligten anstrengender Prozess sein: Wie weit sind Verantwortliche, Fachkräfte und sonstige Mitarbeitende sensibilisiert, verstehen die Fallstricke, in denen sie sich tagtäglich bewegen und in denen sie sich immer wieder verheddern?

Dies besprechbar zu machen und zu besprechen, erfordert bereits viel Fingerspitzengefühl, um niemanden in die „weiße“ Opferrolle zu drängen, betont Meike Elisa Müller. Es geht nicht darum, jemanden an den Pranger zu stellen, sondern scheinbar Selbstverständliches aufzulösen und diskriminierungsfreie Alternativen zu wählen. Es geht nicht um eine Verbotskultur, sondern es geht um Empathie. Es geht darum, gemeinsam die Komfortzone des „Happylands“ der „Weißen“ zu verlassen, also das trügerische Gefühl, ohne rassistische Muster durchs Leben zu gehen. Es geht darum, neue Haltungen zu entwickeln, indem wir nicht-weißen Personen zuhören zum Beispiel.

Im Blick der gewünschten Organisationsentwicklung bei Trägern und Einrichtungen der politischen Bildung: das Konzept des „Allyship“. Wie können wir uns möglichst diskriminierungsfrei aufstellen? Wie also können wir als „weiße“ Personen Verbündete von BIPoC sein, ohne die Arme zu verschränken, weil wir uns angegriffen fühlen und missverstanden, weil wir uns doch auf der guten Seite der Geschichte wähnen?

Schon Theodor W. Adorno sagte aber: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“ Es braucht Zeit, sich aus einem kulturell fest verankerten gesellschaftlichen Muster zu befreien.

Ein Perspektivwechsel mit großem Potenzial

Dieser Perspektivwechsel ist der erste Schritt, ein wichtiger, aber bei weitem nicht der erste. Er ist allerdings der entscheidende, aus dem sich nächste Maßnahmen ableiten. So sollten BIPoC nicht nur als Referent/-innen zu Themen des Rassismus und Kolonialismus eingeladen werden, sondern auch zu allen anderen gesellschaftlich relevanten Themen. Sie sollten selbstverständlich Mitglied von nebenamtlichen Teams sein, zum hauptberuflichen Personal von Einrichtungen gehören, in den ehrenamtlichen Leitungen von Trägern aktiv sein, schlägt Gennet Patt, Landesvorsitzende der KLJB vor. Die Einrichtungen sollten noch stärker als bereits jetzt mit Migrant/-innenselbstorganisationen kooperieren, der Dachverband AKSB könnte Migrant/-innenselbstorganisationen in seine Strukturen und Fördermöglichkeiten aufnehmen.

Wir stehen nicht bei Null, betont Alexander Mack, viele Entwicklungsprozesse haben bereits begonnen. So beschäftigen sich viele Einrichtungen schon seit langem mit den Auswirkungen von Diskriminierung, Rassismus und Kolonialismus, arbeiten in diversen Teams und an einer möglichst inklusiven Bildungsarbeit.

Die Aufgabe jedoch ist groß, geht quer durch alle Funktionen und Bereiche und betrifft uns als Individuum, als Einrichtung, als Verband. Zum Beispiel gelte es, auch die eigenen Programme und Bildungsmaterialien auf „weiße“ Stereotypen hin zu durchforsten.

Grundsätzlich sollte es zum Grundverständnis von katholischen Trägern und Einrichtungen der politischen Bildung gehören, Verbündete von BIPoC zu sein, um ihnen sichere Orte der Entfaltung, der politischen Teilhabe, des gemeinsamen Empowerments zu bieten. Das Konzept des „Allyship“ vertrage sich bestens mit dem christlichen Wertefundament, das die Mitglieder der AKSB miteinander verbindet. Und es habe das Potenzial, alle zu bereichern in einer Zukunft, die diskriminierungsfrei ist.

Claudia Krupp

Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

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