Lehren aus der MEMO-Jugendstudie

MEMO-Jugendstudie 2023 - Erkenntnisse für die Arbeit im Schwerpunkt Identitätsdiskurse und historisch-politische Bildung

Wie, was und auf welchen Wegen erinnern junge Menschen in Deutschland an den Nationalsozialismus? Wie nehmen sie Diskriminierung und Erinnerungskultur heute wahr? Mit diesen Fragen beschäftigte sich die diesjährige MEMO-Jugendstudie der Stiftung für Erinnerung, Verantwortung und Zukunft. Die MEMO-Jugendstudie 2023 erweitert die bisherigen fünf MEMO-Erhebungen (2018-2022) um die Fokusgruppe Jugendliche und junge Erwachsene (16-25 Jahre). Im Interessenfokus der Zielgruppe stehen der Nationalsozialismus und der Zweite Weltkrieg.

Im Rahmen unserer Schwerpunktarbeit haben wir die Studie gelesen und in einem gemeinsamen Zoom-Meeting darüber diskutiert, wie wir die neu gewonnenen Erkenntnisse der Studie in unsere Arbeit einfließen lassen.

Erkenntnisse für unseren Schwerpunkt 4 „Identitätsdiskurse und historisch-politische Bildung“

Über die Zielgruppe

Für die Zielgruppe lässt sich feststellen, dass trotz großer Wissenslücken, das Interesse an historisch-politischen Themen insbesondere am Nationalsozialismus weiterhin besteht. Das konstante Interesse an historisch-politischen Themen und die im Schwerpunkt festgelegten Ziele/Themen zeigen, dass der Schwerpunkt 4 mit seiner Zielsetzung aktuelle Themen aufgreift.

Ein weiterer zentraler Befund zeigt, dass das Geschichtsinteresse der Zielgruppe unabhängig von Faktoren wie Alter, Bildungshintergrund oder Bildungshintergrund der Eltern ist. Dennoch lässt sich feststellen, dass die intensive Beschäftigung mit Themen wie dem Nationalsozialismus mit dem Bildungsabschluss der Eltern korreliert. Je höher der Bildungsabschluss der Eltern, desto höher die Beschäftigung mit solchen Themen.

Für uns als Schwerpunkt liegt ein besonderes Interesse dahingehend, den Fokus auf verschiedenen Schulformen (Gymnasien, Gesamtschulen, Weiterbildungskollege, Berufsschulen) zu legen, um eine breite Zielgruppe zu erreichen.

Knapp ein Drittel der Befragten gibt an, im Alltag teilweise diskriminiert zu werden. Besonders Befragte mit Migrationsgeschichte, weiblich gelesene Personen oder beides.

Über die Themenvielfalt

Neben der Zeit des Nationalsozialismus sind für unsere Arbeit Themen wie der Kolonialismus und der Nahostkonflikt wichtig aufzugreifen. Grund für das Potenzial sehen wir in der Aussage der Befragten, dass Themen wie  der Kolonialismus, als auf gesellschaftlicher und institutioneller Ebene besonders wenig repräsentiert wahrgenommen werden. Der Kolonialismus und insbesondere die deutsche Kolonialgeschichte sind im öffentlichen Raum noch nicht lange besprochen, wodurch sich bei der Zielgruppe der Wunsch äußert, mehr über diese Themen wissen zu wollen und somit die Wissenslücken zu füllen. Sowohl der Kolonialismus als auch der Nahostkonflikt haben Einfluss auf die Gegenwart und bieten sich ideal für die politische Bildung an. Uns ist es wichtig, die historisch-politischen Themen aus einer multiperspektivischen Fragestellung heraus zu betrachten, da unsere diverse Gesellschaft mit unterschiedlichen Fragestellung an Themen herantritt.

In der Studie wurde des Weiteren ein Blick auf das Wissen über den Nationalsozialismus geworfen. Hier zeigt sich klar, dass das empfundene Wissen nicht mit dem objektiven Wissen über diese Zeit übereinstimmt. Für uns bedeutet das, unbeachtete Themen des Nationalsozialismus in den Vordergrund zu stellen, die bei der Zielgruppe offene Fragen hinterlassen:

Insgesamt bewertet die Zielgruppe die deutsche Erinnerungskultur und die gesellschaftliche Aufarbeitung der NS-Vergangenheit als unzureichend und empfindet die deutsche Gesellschaft weiterhin als empfänglich für rechtes oder rechtsextremes Gedankengut. Diese Erkenntnis bestätigt unsere Zielsetzung innerhalb des Schwerpunkts, weiterhin Workshops/Projekte zum Thema Erinnerungskultur und insbesondere multiperspektivischer Erinnerungskultur voranzutreiben und jungen Menschen die Möglichkeit zu bieten, partizipativ eigene Beiträge zu erstellen.

Über digitale Medien als Informationsquelle

Ein Großteil der Befragten nutzt digitale Angebote wie YouTube (insb. Mr. Wissen2go) und Instagram (insb. „ichbinsophiescholl), um Wissen über Nationalsozialismus zu erwerben. Neben der Frage, welche Formate genutzt wurden, wurden die Teilnehmenden auch befragt, welche Möglichkeiten zur Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus ihnen am meisten gebracht haben. Hier lässt sich feststellen, dass vor allem Dokumentationen, Filme oder Serien, gefolgt von Gedenkstättenbesuchen und Schulunterricht im Vordergrund stehen. Hieraus ergibt sich klar, dass die Visualität im Fokus der politischen Bildung steht. Für unseren Bereich stellen sich die Fragen: Wie können wir in der politischen Bildung Visualität in unsere Arbeit integrieren? Wie gehen wir mit den Geschichtsbildern in visuellen Medien um?

Über Anforderungen an die Bildungsangebote

Partizipative Angebote

Neben dem Faktor der Visualität spielt das Bedürfnis nach neuem Faktenwissen und der Besichtigung von historischen Orten eine wichtige Rolle bei der Auseinandersetzung mit historisch-politischen Themen insbesondere beim Thema Nationalsozialismus. Hierbei gaben die Befragten an, dass sie sich gerne neues Faktenwissen aneignen wollen, jedoch inhaltlich nicht überfordert werden möchten. Interaktive und partizipative Bezüge sowie der Bezug zur Gegenwart spielen auch eine Rolle.

Ergänzend zum Geschichtsunterricht wäre es sinnvoll, dass wir in der politischen Bildung den Fokus auf kreative Methoden zur Wissensvermittlung setzen.

Engagement fördern

Ein Großteil der Befragten, gibt an, sich eher nicht oder gar nicht gesellschaftlich zu engagieren. Lediglich jeder fünfte Befragte gibt an, sich im Bereich Umwelt und Klimaschutz zu engagieren.

Sensibilisierung gegenüber Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit

Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ist laut der Studie in den Einstellungen der Jugendlichen und jungen Erwachsenen nicht stark ausgeprägt. Dennoch zeigen die Ergebnisse, dass vergleichsweise stark ausgeprägte Vorurteile gegenüber Langzeitarbeitslosen, Obdachlosen und Asylsuchenden zu erkennen sind. Unsere Arbeit sollte Bezug auf diese Vorurteile sowie ihre historischen Hintergründe und Kontinuitäten nehmen.

Ein weiteres interessantes Thema ergibt sich beim Thema „Opfer rechter Gewalt“ und wie es um deren Anerkennung steht. Auch hier kann ein Bezug zur NS-Zeit und der Kontinuität rechter Ideologie hergestellt werden. Des Weiteren kann insgesamt die jüngere Geschichte von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit betrachten werden.

Konstruktive Streitkultur fördern/Gegen Hate Speech aufklären

Die Zielgruppe sorgt sich um den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland. Rund ein Drittel der Befragten nimmt keinen Zusammenhalt in der Gesellschaft wahr. Etwa ein Viertel berichtet davon, nicht auf die Unterstützung von anderen Menschen zu vertrauen. Und jeder fünfte Befragte gibt an sich von den Politiker:innen nicht repräsentiert zu fühlen. Fördern wir mit unserer Bildungsarbeit eine konstruktive Streitkultur, klären gegen Hate Speech auf und bilden über (digitale) Zivilcourage, trägt dies zum gesellschaftlichen Zusammenhang bei.

Exkurs – Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine

Während der zweiten Befragungswelle begann der russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Hierfür wurden die Befragten hinsichtlich ihrer Einstellung zum Krieg befragt. Hieraus ergibt sich, dass jeder fünfte Befragte sich kaum oder gar nicht mit dem Krieg befasst hat. Hier sehen wir als Schwerpunkt einen Anhaltspunkt, sich mit historisch-politischen Fragen zum Krieg zu befassen:

Fazit

Die Themen und Ziele des Schwerpunktes „Identitätsdiskurse und historisch-politische Bildung“ greifen bereits zahlreiche in der MEMO-Jugendstudie aufgeworfene Fragen und Herausforderungen für die Bildungsarbeit auf. Gleichzeitig wird deutlich, dass die Konzeption unserer Arbeit stets flexibel bleiben muss, um auf aktuelle Entwicklungen und Fragen von jungen Menschen reagieren zu können.