Politische Bildungsarbeit im Strafvollzug - vergebene Liebesmüh?

Für Inhaftierte, aber auch Strafentlassene, erscheint die Aussicht auf Teilhabe gering. Warum politische Bildung dennoch genauer auf die Situation von Strafgefangenen schauen sollte.

26. Juli 2021

Die Bundestagswahl 2021 steht ins Haus. Wie aber sieht es mit der Wahlbeteiligung von deutschen Staatsbürger/-innen aus, die in dieser Zeit in einem Gefängnis leben? Das passive Wahlrecht ist ihnen verwehrt, sie können sich also nicht zur Wahl aufstellen. Aber andere wählen können Strafgefangene, wenn sie das Interesse daran aufbringen, berichtet der Nürnberger Gefängnisseelsorger Andreas Bär im Gespräch mit AKSB-inform.

Viel zu erwarten haben sie von der deutschen Gesellschaft nicht. Den Staat und seine demokratischen Formen verknüpfen Gefangene oft konkret mit der Anstalt, die sie sanktioniert und in ihrem Leben stark einschränkt. Manches, was sie hinter Gittern erleben, lässt sie daran zweifeln, dass alles mit rechten Dingen zugeht in diesem System. Das fängt bei alltäglichen Belangen an, bei denen sie meistens nicht mitreden dürfen. Oder im Unklaren gelassen werden, selbst wenn sie rechtlich befugt wären. Wer sich jedoch juristisch ein wenig auskennt, hat deswegen noch lange keine adäquate Möglichkeit, seine Anliegen erfolgreich durchzusetzen.

So erinnert sich der Gefängnisseelsorger Andreas Bär an einen Inhaftierten, der aufgrund seiner juristischen Kenntnisse eine Petition auf den Weg brachte. „Da er sachlich und formal durchaus Erfolgschancen hatte, wurde er kurzerhand über mehrere Anstalten weiterverlegt.“, berichtet er. „Wer Mehrarbeit verursacht, kann damit schnell zum ‚Wanderpokal‘ werden.“ So reduziert sich „politische Mitgestaltung“ in der Regel auf das Vorschlagen von fremdsprachigen Sendern im Anstalts-TV, bei der Ergänzung auf dem Einkaufszettel oder Änderungswünschen bei der Speisekarte. „Mit politischer Bildung oder Interesse an Demokratie, Friedenssicherung, Rechtsstaatlichkeit oder gar Mitgestaltung von Europa hat das natürlich nichts mehr zu tun.“

Die meisten Haftgefangenen, die wählen dürfen, entwickeln daher wenig Motivation, sich für politische Meinungsbildung zu interessieren oder gar bei einer Wahl eine Stimme abzugeben, hat der Gefängnisseelsorger beobachtet. Wenn per Rapportschein an die Anstaltsleitung der Wahlschein eintrifft, wird das Kreuzchen häufig bei einer Protestpartei gemacht, um aus Sicht der Gefangenen damit den Regierenden in die Suppe zu spucken. Ein Denkzettel für das, was schiefläuft.

Und das ist eine Menge. Die Gesellschaft schreibt die Resozialisation groß, in ihren Gesetzen. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Der Strafgefangene mag noch so sehr an Haltungen sowie Konflikt- und Kontaktverhalten gearbeitet haben: Auf dem Arbeitsmarkt hat er trotzdem keine Chance, wenn er offen über seine Haftzeit spricht. „Vielfach stellen ehemalige Knackis Knackis ein. Dies erlebe ich besonders im Bereich Security und Objektschutz. Da werden Jungs gesucht, die hinlangen können,“ sagt Bär.

Der Seelsorger bedauert das. Er würde sich wünschen, dass die Gesellschaft die Perspektive wechselte. Viele Strafgefangene gehen mit hohen Erwartungen und guten Vorsätzen zurück in die Freiheit. Nach ihrer Entlassung müssen sie schmerzhaft feststellen, von der Allgemeinheit weiterhin nicht erwünscht zu sein.

„Verdiene dein Geld anständig – aber nicht bei mir!“ So könnte die Reaktion großer Teile der Gesellschaft auf den Punkt gebracht werden. Wie also wieder ein Teil der Gesellschaft sein, wenn man/frau nach der Haftentlassung weiterhin ausgegrenzt bleibt?

Als Gefängnisseelsorger arbeitet Andreas Bär mit den Frauen und Männern, die dieser ungewissen Zukunft entgegensehen. Das betrifft viele Fragen, vor denen sie in ihrem Leben nach der Haft stehen. Andreas Bär engagiert sich im Vorstand des „Katholische Gefängnisseelsorge in Deutschland e.V.“, der Mitglied der AKSB ist. Vom Dachverband der katholisch getragenen politischen Bildung wünscht er sich Unterstützung in dem Anliegen, dass die Gesellschaft genauer auf die Situation von Strafgefangenen schaut. Wenn diese ein Empfangsraum erwarte, der ihnen eine echte Chance biete auf ein geordnetes Leben, wäre viel gewonnen. „Auch wenn es eine gewisse Anzahl von Unverbesserlichen gibt – viele würden diesen Strohhalm ergreifen.“

Claudia Krupp

Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

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