Fachtagung Digital 2020

Fake-News, Hate-Speech und Extremismus sind in Social Media und zunehmend auch in Online-Games zu finden. Auf der Fachtagung „Digital 2020“ beleuchteten Expert/-innen das Thema von verschiedenen Seiten und stellten Strategien zum Umgang damit dar.

Markus Schuck (Referent für poltische Bildung bei der AKSB) auf der Fachtagung "Digital 2020: Die Attraktion des Extremen". Bild: Rolf Strohmann/mok Fulda

Am 16. und 17. Mai 2019 drehte sich auf der Fachtagung „Digital 2020“ im Bonifatiushaus Fulda alles um „Die Attraktion des Extremen“ und die Radikalisierungsprävention im Netz. Ausgerichtet wurde die Veranstaltung von der AKSB – Arbeitsgemeinschaft katholisch-sozialer Bildungswerke in der Bundesrepublik Deutschland e. V., dem Bonifatiushaus Fulda, der Clearingstelle Medienkompetenz der deutschen Bischofskonferenz und der LPR Hessen – Hessische Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien. Über 20 Expert/-innen gaben Einblicke in ihre ganz unterschiedlichen Fachbereiche und vermittelten praktische Möglichkeiten zur Präventionsarbeit.

Auf die Herausforderungen im Internet ging Joachim Becker, Direktor der Hessischen Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien und Kooperationspartner der Fachtagung, in seinem einleitenden Vortrag „Fake News, Hate Speech und Extremismus im Netz – Wir können viel tun!“ ein. „Viele Möglichkeiten, die das Internet bietet, haben das Potenzial, das wir bestimmte Regeln nicht mehr beachten“, beschrieb Becker eine der Herausforderungen, und: „Eine fehlende Sanktionierung von strafbaren Äußerungen kann als zulässige eigene Meinung missverstanden werden.“ Doch es gibt viele Initiativen, Projekte und Möglichkeiten. Als einen wesentlichen Aspekt verwies Becker auf die Bildungsarbeit: „Je kompetenter Menschen mit Problemen vertraut sind, desto besser können sie damit umgehen. Medienkompetenz ist eine tragfähige und wichtige Säule, die durch einschlägige Bildungsarbeit vermittelt werden muss.“

Die beiden folgenden Impulsvorträge befassten sich mit der „Rolle des Internets und sozialer Medien für Radikalisierung und Deradikalisierung“. Dr. Marwan Abou-Taam, Mitarbeiter am Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz und Lehrbeauftragter an der University of Applied Sciences in Münster setzte seinen Fokus auf Islamismus/Salafismus, Julian Ernst, Erziehungswissenschaftler an der Universität Köln, auf den Rechtsextremismus. Dabei zeigte sich, dass es zwischen beiden extremen Formen viele Parallelen gibt.
Auch in der Präventionsarbeit sind die Ansätze sowohl für den rechten als auch den islamistischen Extremismus ähnlich. Jawaneh Golesorkh, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei ufuq.de, stellte einige Möglichkeiten der „Politischen Bildung & Prävention im Netz“ vor, ebenso Nava Zarabian von jugenschutz.net in ihrem Impuls „Gegenstrategien von jugenschutz.net“. Beide machten deutlich, dass der sinnvollste Weg bei verschiedenen extremistischen Ausrichtungen darin besteht, nach Ursachen auf der persönlichen Ebene zu suchen und dort zu arbeiten.

Einen bisher selten beleuchteten Aspekt brachte Medien- und Spielpädagoge Michael Fischer in seinem Beitrag „Kommunikation in den Chaträumen virtueller Welten – Wie Computerspiele die Gesellschaft reflektieren“ ein. Auch dort findet Hate-Speech statt, insbesondere auch sexistisch geprägt, tauschen sich extreme Positionen aus und wechseln in andere Foren. Die Ansätze, mit diesen Problemen umzugehen, reichen von Game-Managern über User-Befragungen bis zu regulierenden Algorithmen. Aus Games und Foren leitet Fischer künftige Entwicklungen ab: „Hier sieht man, was sich in fünf Jahren in Social Media abspielen wird.“

Den Abschluss des Tages bot Dr. Jürgen Rink, Chefredakteur der c‘t – Magazin für Computertechnik im offenen Akademieabend zum Thema „Emotionen versus Diskussion: Wie digitale Medien die Kommunikation bestimmen.“ An drei Beispielen zeigte er die Macht von Facebook, WhatsApp und die Eigendynamik von Shitstorms, bot aber auch Anregungen zum eigenen Umgang mit dem Internet. „Ohne politische Maßnahmen kommen wir nicht weiter“, stellte Rinke fest. „Es gibt sogar aus der Digitalwirtschaft teils den Wunsch, die Politik möge Maßnahmen für eine digitale Ethik aufstellen.“ In der Bildungsarbeit sieht Rink großes Potenzial und wünscht eine stärkere Zusammenarbeit: „Wir haben den Content zur Medienkompetenz und möchten ihn gerne an Schüler und Lehrer vermitteln.“

Der zweite Tag stand ganz im Zeichen der praktischen Präventionsarbeit. Claudia Nowakowski, Referentin an der Katholischen Akademie im Bistum Dresden-Meißen, und Dr. Mathias Piwko, Referent am IBZ St. Marienthal, stellten im Workshop „X-Games“ ein Spiel zur Extremismus- und Radikalismusprävention dar. Mit dem Projekt „MEET: Media Education für Equity and Tolerance“ und dem zugehörigen Toolkit befassten sich die Medienreferenten von medien+bildung.com aus Ludwigshafen, Katja Mayer und Mario Di Carlo, in ihrem Workshop.
Prof. Andreas Büsch, Leiter der Clearingstelle Medienkompetenz der Deutschen Bischofskonferenz an der KH Mainz und Kooperationspartner der Fachtagung, befasste sich im Workshop mit Comics als Methode für „Religionssensible politische Bildungsarbeit – medien-praktisch!“. Junge Menschen erreichen und so mit ihnen in den Austausch kommen, lautete hier den Ansatz. Denn, so Büsch: „Ich kenne keine Methode im Sinne eines Werkzeugs, mit der sie Radikalisierung verhindern können. Wir kennen aber eine Reihe von medienpädagogischen Ansätzen, mit denen man mit jungen Menschen in den Austausch kommt.“
Im Workshop „Diskutier Mit Mir“ stellte Ulrich Berger, Referent für Organisation und Strategie von „Diskutier Mit Mir. Demokratieförderung durch digitalen Dialog“ eine App vor, durch die sich Menschen mit gegensätzlichen Positionen austauschen können und so Dialoge jenseits der eigenen Blase gefördert werden.

„Extremismus und Prävention im Web hat viele Facetten. Das hat ‚Digital 2020‘ gerade wieder deutlich gemacht“, so Gunter Geiger, Direktor des Bonifatiushaus Fulda, Vorsitzender der AKSB und Kooperationspartner der Fachtagung „Digital 2020“. „Durch die Geschwindigkeit der Digitalisierung ist die politische Bildungsarbeit extrem herausgefordert, da Gesellschaft und auch Politik immer weniger Gestaltungsmöglichkeiten haben. Damit unser Zusammenleben und unsere Demokratie nicht von Medienunternehmen oder Großkonzernen der Digitalwirtschaft bestimmt wird, sondern nach wie vor von gewählten Volksvertreten.“

Die Fachtagung „Digital 2020“ wurde im Rahmen des Projektes  „Religionssensible politische Bildungsarbeit“, durchgeführt, für das Dr. Andrea Keller innerhalb der AKSB als Referentin zuständig ist. Das  Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend fördert dieses Projekt im Rahmen seines Programmes "Respekt Coaches". Die enge und sinnvolle Verknüpfung der Themen mit der Veranstaltung erklärt Keller: „Digitale Medien werden als eine Möglichkeit genutzt, junge Menschen für extremistische Ideologien zu gewinnen. Daher sollte politische Bildung auch in und mit digitalen Medien arbeiten.“

Einladung zur Fachtagung „Die Attraktion des Extremen“

Kleine Gruppierungen können in sozialen Netzwerken eine große Wirkung entfalten. Dies kommt extremistischen Gruppen zugute. Sie versorgen Jugendliche und Erwachsene in ihrem digitalen Alltag mit Falschinformationen, konfrontieren sie mit Hate Speech sowie religiös motivierten und extremistischen Inhalten und versuchen damit, Anhänger für ihre Ideologie zu gewinnen. Das beschleunigte Löschen von Inhalten ist sicherlich eine mögliche Antwort, aber keine nachhaltige Lösung des Problems. Nicht nur Jugendhilfe, Polizei, Schule und Sozialarbeit stehen aktuell vor einer komplexen Herausforderung, sondern auch Medienpädagogik und politische Bildung.

Doch welche Rolle spielt das Internet bei Radikalisierungsprozessen tatsächlich? Ist es wirklich ursächlich für Radikalisierung oder doch eher ein Katalysator oder Verstärker? Gibt es Radikalisierung allein über das Internet? Und was sind geeignete Gegen-Strategien? Wie können sich demokratische Gesellschaften am besten gegen die Kommunikation extremistischer und antidemokratischer Gruppen wehren? Was sind mögliche Präventionsansätze, welches sind die besten Methoden?

In der Tagungsreihe "Digital 2020", die wir gemeinsam mit der Clearingstelle Medienkompetenz der Deutschen Bischofskonferenz und dem Bonifatiushaus Fulda ausrichten, wollen wir uns diesen Fragen widmen und gemeinsam mit Wissenschaftler/-innen und Praktiker/-innen eine Analyse vornehmen, welche Rolle die sozialen Medien bei der Verbreitung von radikalen und extremistischen Botschaften übernehmen, wer die Akteure dort sind und welche Strategien sie verfolgen.
In einem weiteren Schritt werden Präventionsmaßnahmen im Netz betrachtet sowie hinsichtlich ihrer Wirksamkeit und ihrer Eignung auch für die politische Bildung und die Medienbildung hinterfragt.
In einem Praxisteil können einzelne Präventionsmaßnahmen unmittelbar kennengelernt und erprobt werden. Anschließend diskutieren wir, wie diese Fragestellungen in Präventionsmaßnahmen der politischen Bildung und der Medienbildung in Zukunft behandelt werden sollen.

Referenten und Referentinnen der Fachtagung „Die Attraktion des Extremen“

Dr. Marwan Abou-Taam
Islam- und Politikwissenschaftler, Mitarbeiter am Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz, Lehrbeauftragter an der University of Applied Sciences in Münster

Julian Ernst
Erziehungswissenschaftler, interkulturelle Bildungsforschung, Universität Köln.
Nach seinem Lehramtsstudium in Köln und Istanbul ist Julian Ernst derzeit Doktorand am Arbeitsbereich für Interkulturelle Bildungsforschung der Universität zu Köln. Er forscht zur Medienkritik Jugendlicher im Kontext von Hass und Gegenrede im Internet sowie didaktischen Fragestellungen Interkultureller Bildung.

Jawaneh Golesorkh
Wissenschaftliche Mitarbeiterin bei ufuq.de
Jawaneh Golesorkh hat in Hamburg, Teheran und Damaskus Islamwissenschaft studiert. Nach ihrem Studium war sie als Politikberaterin für die Themen Auslandspolitik mit Fokus auf den Nahen und Mittleren Osten, Islamismus und Dschihadismus in Hamburg und Berlin tätig. Sie macht politische Bildungsarbeit mit Erwachsenen und Jugendlichen zu Erscheinungsformen des Rassismus und Antisemitismus. Bei ufuq.de arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin in den Projekten "bildmachen" und "Alternativen Aufzeigen".

Nava Zarabian
ist Fachreferentin für Islamismus im Internet, im Bereich Politischer Extremismus bei jugendschutz.net in Mainz.
Sie studierte an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn Islam- und Musikwissenschaft und schrieb für das online-Musikmagazin hiphop.de. Seit 2016 recherchiert sie und referiert hauptberuflich für jugendschutz.net, das Kompetenzzentrum für den Jugendschutz im Internet. Darunter beispielsweise über die Ansprache junger Mädchen und Frauen und Entwicklungen in der deutschsprachigen islamistischen Szene im Netz.

Martin Fischer
ist Medien- und Spielpädagoge aus Berlin. Er ist als Jugendschutzsachverständiger bei der USK - Unterhaltunssoftware Selbstkontrolle tätig und leitet freiberuflich Trainings und Workshops für Jugendarbeiter/-innen und Videospieler/-innen. Seit 2012 betreut er die Initiative gameoverhate.eu und engagiert sich für inklusive Videospielgemeinschaften.

Dr. Jürgen Rink
hat in Karlsruhe Physik studiert und in Heidelberg promoviert. Nach mehrjährigen Forschungsaufenthalten im Ausland begann er eine fachjournalistische Karriere. Jürgen Rink übernahm Anfang 2017 die Leitung der c't - Magazin für Computertechnik, der größten IT- und Tech-Zeitschrift Europas. Er ist Mitglied im digitalRat.niedersachsen und der Gesellschaft für Fotografie.

Katja Mayer
Medienreferentin von medien+bildung.com, Ludwigshafen
Die studierte Medienpädagogin/ Dipl.-Sozialpädagogin (FH) war einige Jahre als Medienpädagogin im OK-TV Ludwigshafen tätig. Seit 2007 ist sie bei medien+bildung.com, wo sie vielfältige schulische und außerschulische Medienkompetenzprojekte entwickelt und erprobt. Ihr Schwerpunkt liegt im Bereich kultureller und ästhetischer Medienbildung für Kinder und Jugendliche. Im Rahmen des EU-Projekts MEET (2017 – 2019) entwickelte sie Methoden zur Radikalisierungsprävention sowie zur Förderung von Toleranz und interkulturellem Dialog.

Mario Di Carlo
Medienreferent bei medien+bildung.com, Ludwigshafen
Mario Di Carlo hat einen Magister der Politikwissenschaften, Medien und Kommunikationswissenschaften und Italianistik inne, ein Diplom der Dokumentarfilmschule Zelig in Bozen (Italien) sowie eine Zusatzqualifikationen als Trainer in interkultureller Kompetenz. Als Medienpädagoge bei medien+bildung.com liegt sein Schwerpunkt im Bereich "Schule/Ganztagsschule". Davor hat er eine langjährige Tätigkeit im Bereich "Übergang Schule - Beruf" ausgeübt. Er ist Projektleiter für das "mittendrin-Projekt".

Ulrich Berger
Referent für Organisation und Strategie von „Diskutier mit Mir. Demokratieförderung durch digitalen Dialog", Berlin